Richard Lahmann ist gestorben
„Ich hab also nie geglaubt, dass die Recht haben könnten. Sondern mich darauf versteift, ihr werdet schon noch eure Quittung kriegen, das ist nur eine Frage der Zeit und dann werdet ihr der Vergangenheit angehören und zwar als Verlierer und das wünsche ich euch auch von ganzem Herzen. [...] und so ist es gekommen.“ Das sagte Richard Lahmann, als er 2012 von Schüler_innen der Oberschule am Leibnizplatz interviewt wurde.
Richard Lahmann wurde am 16. Mai 1924 in Bremerhaven geboren. Sein Vater war Polizist, seine Mutter kümmerte sich um den Haushalt. Eine ganz normale Familie in einer ganz normalen Deutschen Stadt. Bis zum 30. Januar 1933. Danach wurden aus ganz normalen Deutschen Arier und Arierinnen, Juden und Jüdinnen. Richard Lahmann Mutter war Jüdin. Sie wurde aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen. Ihr Sohn Richard war nun in den rassistischen und antisemitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten ein „Halbjude“. Auch er sollte nun nicht mehr Teil der Volksgemeinschaft sein. Er musste den Tischtennisverein verlassen, konnte die Tanzschule nicht mehr besuchen, durfte nicht studieren und selbst eine Lehre als Schlosser bei der Seebeck-Werft wurde ihm verwehrt. Er durfte nur als Hilfskraft arbeiten.
Der Vater schützte die Familie so gut es ging. 1934 bot man ihm eine Karriere in der Bremerhavener Polizei an, sollte er sich von seiner jüdischen Frau scheiden lassen. Er weigerte sich, verlor seine Anstellung und die Familie Lahmann lebte ab diesem Zeitpunkt in einfachsten Verhältnissen.
Am Ende half es nichts. Richard Lahmanns Mutter wurde 1944 nach Theresienstadt deportiert, zusammen mit vielen anderen Bremer Jüdinnen, die durch die Ehe mit einem „Arier“ bis dahin geschützt gewesen waren. Richard Lahmann selbst wurde zusammen mit anderen sogenannten Halbjuden ebenfalls verhaftet. Man brachte sie alle zunächst in das sogenannte Arbeitserziehungslager der Gestapo in Farge, wo sie kurze Zeit auf der Baustelle des Bunkers „Valentin“ arbeiten mussten. Dann wurden sie in andere Lager verlegt. Richard Lahmann kam ins Lenner Lager, bei Holzminden, wo er als Zwangsarbeiter in der Rüstungsproduktion eingesetzt wurde.
Er überlebte. Und ging nach Göttingen, um Jura zu studieren. Später bot man ihm in Bremerhaven eine Anstellung in einer Bank an. Er brachte es bis zum Direktor. Er trat der CDU bei, vertrat seine Partei im Stadtparlament von Bremerhaven, wurde Bauherr der großen Kirche, engagierte sich für zahlreiche Institutionen ehrenamtlich. Er heiratete, bekam Kinder. Aus dem Ausgestoßenen, dem „Volksfeind“, wurde ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft.
Über seine Zeit als Häftling zu sprechen, fiel ihm nicht leicht. Der Schmerz, ausgestoßen worden zu sein, der Schmerz, im Lager zur Ohnmacht verdammt worden zu sein, blieb. Richard Lahmann vergrub diesen Schmerz, ließ ihn nur selten sichtbar werden. Sichtbar war stattdessen für uns ein sympathischer, charmanter, humorvoller älterer Herr, der sich in mehreren Begegnungen mit Schüler_innen am Denkort mit viel Geduld den vielen Fragen stellte. Denn am Ende hatten die Nationalsozialisten die Quittung bekommen und verloren.
Wir sind froh, dass wir Richard Lahmann kennen lernen durften, wir werden ihn vermissen. Seine Geschichte und die Erinnerung an ihn haben am Denkort Bunker Valentin einen festen Platz.
Bild: Richard Lahmann wird von Schüler_innen der Oberschule am Leibnizplatz (Bremen) interviewt, 2012 © Landeszentrale für politische Bildung / Denkort Bunker Valentin (Foto: Henry Fried)