Carla Frese: Wunderbar. Es ist kurz nach drei und dann können wir langsam anfangen mit unserer Gesprächsrunde „Klang als Erinnerung“. Ich begrüße Sie ganz herzlich hier am Denkort Bunker Valentin zu unserer Gesprächsrunde. Mit mir hier vorne sitzen Frank Laukötter, Kunsthistoriker, Autor, war mal Direktor vom Paula- Modersohn-Becker-Museum, Schwerpunkt moderne Kunst und Gegenwartskunst. Ist das richtig, Frank? Das ist richtig. Gut so. Daneben sitzt Cristel Trouvé, wissenschaftliche Co-Leitung hier vom Denkort Bunker Valentin. Und neben mir Mattia Bonafini, Musiker, Künstler, Komponist und von ihm werden wir auch gleich einiges hören. Mein Name ist Carla Frese, ich werde die ganze Runde hier moderieren. Und ich freu mich, dass so viele Leute gekommen sind und jetzt gerade hier Platz nehmen. Und ich möchte Sie aber jetzt direkt einladen noch etwas anderes zu machen statt da jetzt gerade nur hier zu sitzen. Es geht ja darum, was Klangkunst an so einem Ort wie dem Denkort machen kann. Und wir haben ja nun die Situation, dass wir hier direkt im Tunnel die Klanginstallation von Mattia Bonafini haben. Und deswegen möchte ich Sie einladen, dass wir jetzt gemeinsam für 15-20 Minuten uns in den Tunnel setzen. Sie können entweder den Stuhl mitnehmen, auf dem Sie gerade sitzen. Oder Sie nehmen sich einen der Stühle, die da stehen mit. Und dann lauschen wir jetzt einfach mal gemeinsam diesem Projekt. Und kommen danach mit ganz frischen Eindrücken wieder hier zusammen. Und ich möchte Sie auch gerne einladen, Ihre Eindrücke dann natürlich mit uns zu teilen. Gut, dann würde ich sagen, gehen wir erstmal rüber. Bin ich zu hören? Ah jetzt. Ich möchte Sie gern einladen, dass Sie sich auch hier vorne hinsetzen. Denn meine allererste Frage geht an Sie alle. Wie war das jetzt für Sie? Es gibt auch ein Mikrofon. Kann jemand, hat jemand Lust jetzt so direkt danach einmal seine Erfahrung einfach mit uns zu teilen. So direkt im Anschluss an diese, an das was Sie jetzt gerade gehört haben? (kurze Pause) Nein. Wir können ja nachher nochmal auf die Frage zurück kommen. Weil ich glaube, Sie hat das jetzt alle nicht ganz kalt gelassen. Oder es hat mit Ihnen allen etwas gemacht. Da bin ich ganz sicher. Mit mir hat es auf jeden Fall etwas gemacht. Und ich bin ganz froh, dass gerade dieses rhythmische Schlagen jetzt gerade, als wir jetzt drinnen saßen, jetzt auch gekommen ist. Also bei mir, also ich habe das Gefühl, mein Herzschlag wird dadurch schneller. Also als ganz konkrete körperliche Reaktion auf das, was ich da gerade gehört habe, merke ich, dass mein Körper darauf reagiert, und ich glaube, das geht Ihnen vielleicht ähnlich. Vielleicht geht es Ihnen auch ganz anders damit. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass es Sie einfach so kalt lässt. Aber vielleicht kommen wir einfach später nochmal darauf zurück. Vielleicht muss es auch einfach erstmal sacken. Das heißt ich gebe jetzt einmal das Wort hier in die Runde und frage direkt einmal Christel Trouvé. Der Denkort Bunker Valentin wurde von vornherein als Dreier-Ort quasi geplant. Als Denkort, als Lernort, aber auch als Kunstort. Und wir beide zusammen haben jetzt ja schon mehrere Kunstprojekte hier auch durchgeführt. Seit mehreren Jahren. Warum war es für dich so wichtig, dass der Denkort auch von vornherein als Kunstort mitgedacht und auch wahrgenommen wird? Christel Trouvé: Also das war tatsächlich 2009 als wir angefangen haben uns Gedanken darüber zu machen, was aus diesem Bunker werden könnte. Dass ich den Bestandteil Kunst als Vermittlungsmöglichkeit einbeziehen will. Das hat natürlich auch mit diesem besonderen Ort zu tun. Das ist ein Ort mit einer komplexen Geschichte. Das ist ein Ort mit einer unglaublichen Herausforderung. Allein durch seine Dimension. Jede, jeder von Ihnen die das erste Mal hier rein marschiert ist, hat das wahrscheinlich schon mitbekommen. Oder wenn man draußen steht, allein durch die Dimension, wie begreift man dieses Gebäude? Wie geht man damit um? Und das war dementsprechend auch klar festzustellen, das geht, die Vermittlung geht nicht nur über Wissen. Die Vermittlung geht nicht nur über die harten Fakten oder über die Geschichtenerzählung. Sondern auch über andere Möglichkeiten, die Komplexität von diesem Gebäude wahrzunehmen. Und ich finde, Kunst hat dafür ein unglaubliches Potenzial. Jede Künstlerin, jeder Künstler hat einfach einen anderen Blick auf diese Gebäude. Und das heranzuholen und diesen Menschen, diesen Künstler:innen mit uns gemeinsam zu schauen, wie greift man dieses Gebäude? Wie geht man mit diesem Gebäude um? Und wie werden andere Sinne zum Beispiel angesprochen. Also das fand ich zum Beispiel gerade auch wieder spannend. Also das habe ich auch zu Mattia gesagt, dieses Moment wo das Wasser aus Brest zu hören ist oder aus Saint-Nazaire. Ich weiß gar nicht mehr wo du, Annemarie, alle diese Klänge aufgenommen hast. Ich finde es faszinierend, dieses Gefühl zu haben, a) auf der rationalen Ebene, du verbindest, oder ihr verbindet durch die Installation diesen Ort mit den Atlantik-Bunkern und das finde ich auch total wichtig. Weil der Bunker gehört auch zu einem viel größeren Gefüge, historischen Gefüge, geografischen Gefüge. Und durch die Klänge werden diese anderen Orte somit rein geholt. Und ich hatte auch das Gefühl, wenn man so Richtung Ruinenteil, also hinter uns so blickt. Das war, plötzlich war das Wasser überall da. Was natürlich für diesen Ort eine wichtige Rolle gespielt hat. Weil hier hätten U-Boote gebaut werden müssen, sollen. So die Planung. Und dann plötzlich war das Wasser da und ich hatte fast das Gefühl, der Bunker wird weggespült. Und genau, und dadurch, durch so eine Installation, durch andere künstlerische Beiträge werden andere, Erfahrungen möglich. Werden andere Sinne angesprochen. Genau und das ist für mich ein unglaubliches Potenzial. Und das war für mich von Anfang an ganz wichtig. Und das will ich noch hinzufügen, der Bunker ist auch ein Ort wo wir nicht die ersten sind, die mit Kunst gearbeitet haben. Die Bundeswehr war hier in diesem Gebäude bis Ende 2010. Und in den Jahren vorher hat es ein paar Öffnungsversuche seitens der Bundeswehr gegeben. Der Ruinenteil hinter uns wurde 1999 bis 2004 für ein großes Projekt von dem Theater Bremen geöffnet. "Die letzen Tage der Menschheit" – einige nicken, genau. Also viele von Ihnen haben wahrscheinlich auch von diesem Theaterstück gehört. Im Jahr 2000 und 2001 wurde auch die so genannte „Cantate pour la vie“ hier auch hinter uns aufgeführt. Beruhend auf Gedichten die von Überlebenden geschrieben worden waren. Also das heißt es gab auch schon damals erste Kunstbeiträge. Und genau, alles einfach zusammengefügt hat dazu geführt, dass es wichtig war, das mit einzubeziehen. Und ich blicke jetzt auf ein paar Jahre zurück. Einige, mehrere Projekte haben wir gemeinsam hier entwickelt. Und es ist spannend, weil jedes Projekt ist einfach komplett anders. Es werden jedes Mal andere Sinne angesprochen. Der Ort wird anders bespielt. In Besitz genommen mehr oder weniger. Oder er bekommt eine andere Bedeutung. Und das ist auch für mich, die hier täglich arbeitet, unglaublich bereichernd. Weil da kriege ich irgendwie so andere Impulse, die mir auch helfen auf das Gebäude anders zu blicken oder anders zu agieren in diesem Gebäude. Carla Frese: Was ja auch da spannend ist, da nochmal drauf einzugehen. Du hattest es ja gerade gesagt: Jedes Kunstprojekt bringt hier nochmal eine andere Atmosphäre mit ein, jeder Künstler bringt eine andere Sichtweise mit rein, was dann natürlich auch für uns als Besucher:innen immer manchmal total spannend ist, weil wir diese Sichtweise natürlich dann auch adaptieren, mitnehmen und uns dieser Ort dann auch nochmal ganz anders präsentiert wird. Also es macht einfach einen riesen Unterscheid, gehe ich durch diesen Tunnel ohne die Klanginstallation von Mattia Bonafini oder läuft da gerade dieses rhythmische Schlagen zum Beispiel oder wird er gerade vom Wasser geflutet. Oder wenn man hier auch mit Lichtkunst arbeitet, mit Projektionen arbeitet. Es wird einfach ein anderer Ort dadurch. Mattia, was war für dich denn das Herausfordernde oder auch der Reiz dieses Projekt hier umzusetzen für dich? Es ist ja nicht ganz ein einfacher Ort. Es kann ja, also deine Komposition, man kann sie sich ja auch auf deiner Website auch anhören. Aber es macht natürlich ein riesigen Unterschied, sitze ich bei mir zu Hause in meinem Wohnzimmer, in meinem Sessel und höre mir das an oder sitze ich hier, höre ich die Geräusche von draußen. Habe ich diese Kälte, diese Feuchtigkeit um mich herum. Aber das kann ich mir auch ganz spannend, reizvoll, als Künstler vorstellen, darauf einzugehen. Was waren für dich da die Gründe zu sagen an diesem Ort möchte ich was realisieren? Mattia Bonafini: Es ist schwer irgendwie für mich einige Sachen zu erklären die mit Klang zu tun haben, mit Wörtern umzusetzen. Trotzdem, ich habe nie die Möglichkeit gehabt in so einem Ort zu arbeiten. Ich wusste überhaupt nichts über diesen Bunker. Ich habe den durch Annemarie kennengelernt. Annemarie hat mir das Projekt vorgeschlagen, hat die Idee gehabt und hatte schon wie du schon vorher gesagt hast, viele Aufnahmen gemacht. Ich habe versucht, erstmal diesen Ort zu schauen, zu sehen, was da ist. Was sind die Möglichkeiten. Mit Bildern bin ich, denke ich mal nicht so gut. So wie andere Menschen. Und genau deswegen (lacht) arbeite ich lieber mit Klang und Musik. Und nachdem ich diesen Ort gesehen habe und die Geschichte gelesen und gehört von Annemarie und dazu die Aufnahme von Annemarie gehört habe, habe ich gedacht okay so wie kann ich damit umgehen? Und was kann da passieren mit solche Klänge? Aber was kann auch passieren ohne Klänge? Wie kann man, wie wirkt Klang in so einem Ort? Auch wenn ich nicht unbedingt diese Klang erzeuge, durch Lautsprecher. Carla Frese: Und das ist ja auch schön in deiner Installation. Du hast ja immer wieder Phasen der Ruhe eingebaut. Wo einfach nichts ist. Die Klänge sind sehr, sehr unterschiedlich, die du eingebaut hast. Einmal ja dieses was wir am Anfang gehört hatten, auch dieses fast melodische, der melodische Klang am Anfang. Dieses rhythmische Schlagen, diese Wasser Geräusche, aber es birgt ja immer noch die Möglichkeit dass von draußen der Klang rein kommt. Und das haben wir ja auch jetzt gerade eben gehört. Es kommt sehr, sehr viel auch von draußen rein und dieser Bunker hat ja auch für sich einen Klang. Den, der wird ja nochmal durch deine Intervention, wird der ja auch nochmal verstärkt. Auch nochmal deutlicher hervorgerufen, weil man natürlich auch nochmal anders auf die Geräusche dieses Ortes achtet, als wenn keine Intervention da wäre. Vielleicht ganz kurz zur Erklärung. Wenn hier von Annemarie gesprochen wird, Annemarie ist Annemarie Strümpfler, sie sitzt hier vorne. Sie ist die Initiatorin dieses Projekts gewesen. Das Projekt besteht eigentlich aus zwei Installationen. Das ist einmal hier die Klanginstallation von Mattia Bonafini hier drinnen. Und draußen, wenn Sie um den Bunker herum gehen, hängt dort hinten an der Ecke eine Klangharfe. Eine Windharfe, so heißt es. Eine Windharfe, wo sie also wahrscheinlich, heute kann man es ziemlich gut hören, weil es ist ja ziemlich windig draußen. Wo also wirklich durch den Wind der durch den Bunker kommt auch nochmal ein besonderer Klang erzeugt wird. Also nur damit Sie wissen, Annemarie ist Annemarie Strümpfler hier vorne bei uns. Mattia Bonafini: Darf ich kurz? Carla Frese: Ja bitte. Mattia Bonafini: Diese melodische Teil besteht eigentlich auch aus Windharfen-Klänge, die wir hier aufgenommen haben. Oder das ... Annemarie hast du einige in der Bretagne aufgenommen? (Unverständlich) Ah, ja. Carla Frese: Also viele der Klänge die einfach auch in deiner Installation vorkommen, sind hier direkt vor Ort entstanden. Andere kommen von anderen Orten hier her, aber vieles ist auch direkt im Umfeld aufgenommen worden. Annemarie Strümpfler: (leise) Also die Windhafen Klänge wurden auch entlang der Bunkerwände aufgenommen. Für mich war das ein Teil der Recherche. Für mich war das ein Teil der Recherche auch zu schauen woher die Windströme kommen. Denn der Bunker hat eben sehr stark mit diesen Winden zu tun. Und um sie hörbar zu machen, hatte ich mir eben dies Windharfe gebaut. Und Mattia hat das eben mit seinem besonderen Equipment eben nochmal gesondert aufgenommen. Aber es entstand hier und auf dem gesamten Lagergelände das wir bewandert haben, entstanden diese harmonischen Klänge. Carla Frese: Gut, also das nochmal als Ergänzung. Frank, du als Kunstwissenschaftler (lacht). Welche Chance, siehst du denn darin, dass Gedenkstätten, Gedenkorte, so konkret mit Kunst arbeiten? Frank Laukötter: Das ist aber eine sehr große Frage. Carla Frese: (lacht) Ich weiß. Frank Laukötter: Ich fange mal an. Ich bin jetzt gar nicht der Kunstwissenschaftler, sondern der Geschichtenerzähler. Und erstmal der Zuhörer. Und die Annemarie Strümpfler von der sie gerade eben gehört haben, die hat hier auch jemanden interviewt, der heißt Lucien Hirth. Der war Zwangsarbeiter, hier an dem Ort. Ich glaube als Geschichtenerzähler ist das für mich wichtig, dass dieser Franzose hier Zwangsarbeiter war. Annemarie hat Interviews mit ihm geführt. Ich war ganz erschrocken, als ich ein Video sah und ihn auf Deutsch reden hörte. Und er hat dieses Deutsch nicht etwa gelernt, weil er hier Zwangsarbeit lernen musste, sondern weil Elsass-Lothringen ein Teil ist, der sowohl Deutsch als auch Französisch geprägt ist. Und wenn ich hier in unsere Runde gucke, ich vermute, dass die meisten von Ihnen den Krieg mit Glück eben nicht miterlebt haben. Und ich habe auch dieses Glück. Aber es gab eben Menschen - und Annemarie hat einen von ihnen interviewt - der davon erzählt hat, wie er hier gearbeitet hat und auf diesem Dach dieses Gebäudes stand und mit einem Presslufthammer gearbeitet hat. Und dass es da oben sehr sehr kalt war. Extrem kalt. Und in der Struktur des Sounds von Mattia Bonafini an dem Punkt, wo das halt beginnt so einen metallischen Sound zu machen, der sich immer wieder wiederholt, da ist das für mich so, dass mit dem Wissen um diese Geschichte, die ich von Annemarie weiß, der gute Lucien Hirth wieder aufersteht und dieses Geräusch macht von seinem Presslufthammer. Also entfernt erinnert mich das an diesem Presslufthammer, den Lucien Hirth hier '44/'45 hat in die Hand nehmen müssen, um hier zu arbeiten. Und ich finde da macht in dem Moment der Sound von Mattia die Zwangsarbeit wieder gegenwärtig hier an diesem Ort, der Gott sei Dank eben nicht mehr ein Zwangsarbeiterort ist. Aber das was wir jetzt eben glücklicherweise erleben, dass diese Zeit vorbei ist, daran erinnert mich eben Mattia mit seinem Sound und Annemarie mit ihrem Werk. Und das finde ich extrem wichtig, diese Art der Erinnerungsarbeit zu machen. Und das ist, denke ich, jetzt komme ich auf deine Frage dann doch zurück, indem ich eine Schleife mache. Sinn und Zweck dieses Erinnerungsortes im Prinzip auch anderer Erinnerungsorte und ich habe heute, bevor ich hier her kam nochmal ins Internet geguckt. Und das schöne ist ja, dass Frau Trouvé, sie hören es vielleicht an ihrem Akzent, sie ist nicht biodeutsch, vermute ich. Ich bin biodeutsch. Und eigentlich wäre Herr Macron jetzt in Deutschland. Und würde sowas versuchen wie ein Wiederaufleben der Deutsch-Französischen Freundschaft. Und er hat sich nicht umsonst den jetzigen Tag ausgesucht glaube ich, weil genau heute am 02. Juli vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag ratifiziert. Also durch einen wunderbaren Zufall ist das genau heute vor 60 Jahren passiert. Und ich erinnere mich noch, jetzt eine kleine Geschichte von meiner Familie, weil ich bin zwar Kunstwissenschaftler aber auch "Sohn von" oder "Enkel von". Mein Großvater, der hat noch gesagt, wir sollten Franzosen mal ordentlich einen auf die Glocke geben. Und mein Vater hat sich da nicht zu verhalten. Der ist halt gerade im Krieg geboren worden. Und ich würde sagen wir müssen zusehen, dass diese Deutsch-Französische-Freundschaft weiter existiert und können vielleicht jetzt einiges daran machen. Und ich glaube, dass das der Sinn ist, dieses Erinnerungsortes. Und auch des Eingriffes durch, des künstlerischen Eingriffes durch Annemarie und Mattia und eben auch von Jutta. Carla Frese: Aber du hast gerade nochmal was ganz Spannendes erzählt. Da wollte ich nämlich nachher auch nochmal drauf kommen. Annemarie hat einen Zeitzeugen interviewt, das ist inzwischen 30 Jahre her. Es war in den 90ern, ne? In den 90ern. Und ich bin auch noch eine Generation, ich habe auch noch Zeitzeugen kennengelernt. Unter anderem auch André Migdal, von dem ja auch der (Gedichts-)Zyklus ist. Es war bei uns in der Schule, war das auch im Geschichtsunterricht gang und gebe, dass immer nochmal ein Zeitzeuge vor Ort war und erzählt hat. Und dadurch ist natürlich bei uns eine andere emotionale Ebene entstanden als wenn wir rein durch eine Wissensvermittlung an einer Gedenkstätte sage ich mal die Zahlen vorgesagt bekommen hätten. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, wenn ich diese Zahlen höre, die Zwangsarbeiterzahlen, wie viele Menschen ums Leben gekommen sind. Das ist eine Zahl. Das ist eine wahnsinnsgroße Zahl. Aber letztendlich ist es einfach nur eine Zahl. Und gerade durch die Zeitzeugenberichte wird die Zahl ja nochmal gedreht, wir haben es mit einem persönlichen Schicksal zu tun. Was natürlich viel greifbarer für uns emotional ist. Das wird uns nochmal auf einer ganz anderen Ebene vermittelt. Jetzt haben wir die Situation, die Zeitzeugen gibt es kaum noch. Die meisten sind in der Zwischenzeit verstorben. Und Annemarie hat mit ihrem Projekt dann aber wieder ein Zeitzeugen hier quasi ja sprechen lassen. Wenn du sagst, dieses Hämmern, das ist der Presslufthammer für dich, den Lucien Hirth hier benutzt hat, dann spricht ja dieser Zeitzeuge auch noch einmal durch die Klanginstallation der beiden zu uns hier her. Und das ist für mich eigentlich nochmal ein interessanter Kniff. Dass man durch die Intervention von Kunst auf einmal wieder diese reine Wissensvermittlung verlässt und sagt: Wir können durch diesen Kniff der Kunst nochmal eine emotionale Ebene erschaffen. Die man vor 20 Jahren sicherlich durch die Zeitzeugen hätte vermitteln können. Was aber heute nicht mehr geht. Christel, da frage ich jetzt nochmal kurz dich. War das auch ein Gedanke bei eurer Konzeption, dass ihr gesagt habt, wir brauchen diese andere Ebene, weil rein über die Wissensvermittlung ist es vielleicht nicht immer greifbar? Christel Trouvé: Ja. (sprechen gleichzeitig) Carla Frese: Ich stelle das jetzt auch einfach so dahin, ich verbinde das damit, dass man natürlich durch die Kunst nochmal diese andere Ebene erreicht. Also Sie können auch gerne anderer Meinung sein. Also wir können auch wie gesagt gerne das Mikrofon einmal durchgeben, falls da andere Meldungen sind. Aber mich würde es gerne einmal interessieren, was Christel noch dazu - Christel Trouvé: Also das habe ich vorhin gesagt und das finde ich tatsächlich wichtig, das ist eine wichtige Möglichkeit eben so, dass man überhaupt einen Zugang zu diesem Ort, zu ermöglichen. Also mir gehen gerade viel zu viele Gedanken durch den Kopf (lacht). Also Annemarie zum Beispiel, du hast mir neulich erzählt, du hast hier jemanden getroffen, die gesagt hat, diese Klanginstallation oder Kunst überhaupt war für sie die Möglichkeit die Angst zu überwinden und in den Ort rein zu gehen. Das fand ich unglaublich beeindruckend und total nachvollziehbar. Also das höre ich auch immer wieder von Leuten die sagen: Oh Gott, in den Bunker habe ich mich noch nicht getraut rein zu gehen, weil die so gigantisch und es ist irgendwie so Angst - da gibt es auch Familiengeschichten an die man sich nicht traut, ranzugehen. Und Kunst kann eine Möglichkeit sein um zu sagen, komm ich begleite dich auf eine andere Art in dieses Gebäude rein. So. Das ist ein ganz - finde ich - ganz wichtiger Aspekt. Wir merken jedes mal, wenn wir eine Kunst Veranstaltung hier anbieten, das wir andere Besuchende heranziehen. Beziehungsweise andere Menschen hier sitzen sehen als die die uns vielleicht bei anderen Veranstaltungen auch begleiten. Wenn es um eine Buchverstellung geht, also diese eher klassischere Form von Veranstaltung. Das finde ich spannend. Weil dann ist es einfach mal so für mich klar, okay da gibt es Leute, die es mehr anspricht. Genau wie Mattia vorhin gesagt hat, mit Bildern kannst du nicht arbeiten, aber mit Klang. Das ist für mich auch so eine Zusatzmöglichkeit. Und das was mir gerade durch den Kopf geht, du hast vorhin das Wort Emotion benutzt. Wir arbeiten auch viel mit Künstlern die wiederum mit Jugendlichen, nicht nur, aber auch mit ihnen arbeiten. Und Kunst ist dann die Möglichkeit, also ich denke gerade an ein pädagogisches Vermittlungsformat wo wir mit Künstlern mit jugendlichen zusammenarbeiten. Wo die Jugendlichen dadurch die Möglichkeit haben, sich dem Ort anders zu öffnen. Ihre eigenen Gefühle anders wahrzunehmen und dann vielleicht auch eine andere Form preiszugeben. Also wir arbeiten gerade zum Beispiel mit einem Deutschen Künstler der in Frankreich lebt oder mit einem amerikanischen Künstler der mittels Rap Projekte in Gedenkstätten macht. In Ravensbrück, in Auschwitz, in anderen Gedenkstätten. Und der arbeitet auch mit einer Tänzerin zusammen und es ist einfach jedes mal faszinierend zu sehen. Zwei Wochen lang treffen sich junge Menschen aus der ganzen Welt, arbeiten mit diesen Künstlern und Künstlerinnen zusammen und finden ihren eigenen Weg um einfach die, also ihre eigene Sprache zu finden. Genau. Und am Anfang sind sie ein bisschen überrascht. Also eigentlich sind sie dran gewöhnt, wenn man in eine Gedenkstätte geht, dann kriegt man Informationen und so weiter. Und dann bekommen sie dadurch so eine Möglichkeit sich selber mehr zu erspüren. Und einfach mal mehr mit diesen Emotionen zu gehen. Und ich meine solche Orte sind Orte die unglaubliche Emotionen hervorrufen. Angst ist vielleicht so eine von den Stärksten. Und was macht man damit. Und ich finde wirklich, Kunst ist so eine Möglichkeit diese Emotionen zuzulassen und mit denen umzu..., sie zu transformieren und damit etwas anderes zu machen. Ich weiß gar nicht, ob ich deine Frage beantwortet habe, aber es ist mir alles durch den Kopf gegangen. Oder ein Teil davon (lacht). Carla Frese: Jetzt würde ich gerne aber nochmal tatsächlich ins Publikum gucken. Jetzt ist ja unsere 20 Minuten Session auch schon wieder eine halbe Stunde her. Hat jemand Lust einmal seine Erfahrung zu teilen, wie das jetzt für ihn war? Vielleicht auch mit dem was wir jetzt hier schon erzählt haben. Wie sich der Eindruck des Denkortes, des Bunkers durch diese Klanginstallation verändert hat? (Pause) Publikum 1: Also ich würde ganz gerne manchmal anschließen an die Emotion und dieses, dass man vielleicht eher gewillt ist, hier rein zu gehen, sage ich mal, über eine Kunstausstellung, die verknüpft ist mit dem Ort oder den Ort bespielt. Weil ich finde es hat einfach schon allein von den Dimensionen, was sehr überwältigendes. Man kommt rein und ist erstmal so ein bisschen verloren insgesamt. Und ich finde genau so wie man vielleicht rein geholt wird über eine Ausstellung, hatte ich aber auch so ein Moment wo ich in dem Raum stand, wo ich dachte, ich muss jetzt hier raus gehen. So ist es mir zu viel, vielleicht auch durch die verschiedenen Assoziationen, die aufgemacht werden. Und durch die Kälte, die der Ort insgesamt ausstrahlt. Und auch die Brutalität. Unter anderem durch die Zerstörung die man sieht, aber auch das fehlende Licht. Also es kommt so viel zusammen. Was so ein Gefühl der Beklemmung sehr stark macht. Und natürlich, wenn man dann noch weiß, was an diesem Ort passiert ist, dann wird das natürlich nochmal stärker. Und ich glaube, also schon allein so diese Idee dass man hier an einem Sonntag Nachmittag hin geht und sich mit dieser Thematik beschäftigt, da war ich zwischendurch auch so, okay, das ist schon auch ... braucht vielleicht so ein bisschen eine Überwindung auf einer Ebene. Und gleichzeitig glaube ich auch, dass eine andere sinnliche Erfahrung oder Komponente da gut tun kann, sage ich mal, weil das auf einer anderen Ebene nochmal ein Erfahren möglich macht. Und nicht nur auf so einer kognitiven Ebene man immer, also wie man das vielleicht klassisch kennt von manchen Gedenkorten, dass man irgendwie auch so einen Anspruch vielleicht auch hat, dass man mit mehr Wissen raus gehen muss und bestimmte Sachen dazu lesen muss, macht es eben eine ganz andere Erfahrungsebene möglich. Durch diese Klangebene. Und man nimmt die Architektur nochmal ganz anders war. Weil mich hat es zwischendurch auch an eine Kirche oder so einen sakralen Raum denken lassen, weil eben die Dimension so ein bisschen ähnlich sind vielleicht. Und auch die Lichteinfälle mich an, ja, eine Kathedrale oder so denken haben lassen. Und ich musste noch an eine Erfahrung denken, die ich gemacht habe in einem Museum in Köln. In dem Kolumba Museum. Da gibt es einen Rundgang der arbeitet mit Klang auch. Ich glaube Klang-Raum- Körper oder so ist das Konzept und da sind wir mit einer Klang-Künstlerin und Sängerin durch die Räume gegangen und haben eben auch unsere Stimme in den Räumen ausprobiert. Und das fand ich auch total schön, dass man selber nochmal sich als kleinen Menschen in diesem Raum und mit dieser Akustik wahrnehmen konnte. Weil die ist ja auch sehr speziell. Das merkt man ja jetzt hier auch in der Diskussionsrunde, wie der Hall um einen herum wabert. Also da kommt einfach sehr sehr viel zusammen, das ist vielleicht jetzt auch schwer das zu ordnen, weil es einfach viele verschiedene Eindrücke sind, aber genau. Carla Frese: Dankeschön, da war noch eine Wortmeldung. Publikum 2: Ich fand besonders stark die Momente wo es dann auch still war. Weil man da einfach auch erstmal ganz intensiv mit seinem eigenen Ohr ran ging und gecheckt hat, ist es jetzt noch die Installation, ist das jetzt das was der Raum entweder selbst produziert oder von draußen kommt? Das fand ich total stark. Weil man da einfach irgendwie auch gemerkt hat, wie diese Klänge die jetzt natürlich da sind über Wind oder über Vögel auch halt den Raum mit ausmachen. Und für mich hat sich tatsächlich, also mir hat es tatsächlich auch geholfen durch die Klänge, die jetzt Teil der Installation waren, den Raum auch akustisch nochmal zu vermessen und eben auch die architektonischen Dimensionen tatsächlich dadurch nochmal mehr zu verstehen. Jenseits dessen, was ich sehe. Weil wir können ja den Raum, der ist jetzt mittlerweile gesperrt, wir können den nicht mehr durchwandern. Und das fand ich eben total interessant, dass die Klänge mir geholfen haben, die architektonischen Dimensionen auch zu verstehen. Das fand ich wirklich stark. Carla Frese: Hier vorne war noch eine Wortmeldung. Publikum 3: Tja. Ich glaube, ich möchte jetzt was anderes sagen. Also für mich war das auch so ein Nachdenkort jetzt hier. Und ich habe die ganze Zeit da gesessen und auf diese zynische Goebbels Rede geguckt, wo der sagt, also Gott sei Dank ist der Bau schon so weit fortgeschritten, dass die feindlichen Mächte hier nichts mehr zerstören können. Und das ist geradezu pervers, wo doch dieser Bunker dafür gebaut war U-Boote herzustellen, die natürlich auf Zerstörung aus sind. Und ich habe dann nochmal so über mich nachgedacht und über meine Generation und ich habe das Gefühl, ich war fast 30 Jahre lang Lehrerin und eine meiner für mich wichtigsten Aufgaben war, den Nationalsozialist immer wieder in Deutsch, in Geschichte, in Politik-Unterricht zu bearbeiten und dafür zu sorgen, das war ja unsere Pflicht sozusagen, dass das nicht wieder vorkommt. Und ich habe, ich komme mir langsam auf die Schliche, dass das auch ein bisschen so der Versuch ist, wie der Engel von Walter Benjamin, der versucht die Geschichte zu reparieren. Also der Versuch, im Nachhinein, das was Schlimm gewesen ist in der Vergangenheit zu reparieren. Und das ist halt wirklich eine schwierige Sache, dem Engel von Benjamin weht der Wind ins Gesicht. Treibt ihn weg von der Vergangenheit, nämlich in die Zukunft. Und ich habe gedacht - wäre vielleicht - mir drängte sich immer wieder die Ukraine auf, die, bei der sieht es jetzt auch so ähnlich aus wie hier. Und ich dachte, ja, einerseits haben wir die Realität der heutigen Zeit, aber wir kleben wie die Kletten immer noch an der Vergangenheit. Wahrscheinlich ist es einfach schwieriger diese jetzige Realität sensibel wahrzunehmen und sich dieser Zumutung auszusetzen. Also jetzt zu Gedenken. Der schlimmen Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind. Carla Frese: Dankeschön. Noch weitere Wortmeldungen? Ah. Da kommt direkt. Publikum 4: Ich bin Mitinitiatoren von einem Bremer Projekts, das heißt Lauschorte wo es darum geht über Text und Musik sich historischen Orten eben - momentan viel in der Innenstadt – zu nähern. Ich freue mich aber total, dass Christel, du auch nochmal die Feder hier rüber gezogen hast zum Denkort. Weil ich mir auch vorstellen kann, dass das eine spannende Möglichkeit wäre. Wir haben auch im Projekt selber viel drüber diskutiert, wir haben einen Ort mit drin, das ist der Lichtbringer in der Böttcherstraße wo es ja einfach auch viel diskutiert wird, darf dieses Kunstwerk noch hängen? Und wir haben einen Text der zuerst viel diese Faszination von diesem Lichtbringer beschreibt und die Musik dazu, da hat sich das Ensemble zuerst geweigert, halt praktisch diese Musik dazuzunehmen, weil es waren zwei Teile aus einem Vivaldi-Cello-Konzert. Der erste Teil der jetzt tatsächlich über diese Faszination, dieses glänzenden Bildes beschreibenden Part des Textes liegt. Da kommt man eben total rein in dieses: es glänzt und es ist eine Attraktion irgendwie. Und dann kippt der Text. Und dann schlägt auch die Musik um und der Text um und das finde ich aber auch total interessant über Kunst. Und dann muss man aber halt sehr vorsichtig sein, auch die Manipulation eben auch klar zu machen, die eben von solchen Kunstwerken oder von solchen Orten ausgeht. Um die sich in dem Moment auch mal zu erlauben um dann aber auch klar zu machen wo die Manipulation liegt. Und dann praktisch auch diesen Erkenntnisprozess einfach auch in sich selbst wieder auslösen. Das finde ich also auch eine Möglichkeit von Kunst, dass man halt (überlegt) ja, diese Möglichkeit Assoziationsräume aufzumachen da hat. Wo man auch mal Emotionen zulassen kann, über die man eben sonst auch mal erschrecken würde. Aber das man dadurch eben vielleicht genau so eine Monstrosität von so einem Raum eben auch über die Kunst halt emotional nochmal nachspürbar macht. Carla Frese: Da vorne war noch, wolltest du noch was sagen? Publikum 5: Ja erstmal vielen Dank für die Veranstaltung und die gewaltige Arbeit, die hinter diesem Projekt steht. Ich komme aus einer Familie die von Zwangsarbeit direkt betroffen war. Und wollte einfach die fiese Frage in die Runde stellen, wie viel Authentisches steht in so einer, ja, für Betroffene oder für alle Menschen doch recht abstrakten Installation. Wie findet man die Brücke dann wieder zu der Realität des Geschehenen und das, quasi wie wird das dann übersetzt an eurem Beispiel in ein Kunstwerk? Also wie findet man wieder den Weg zurück? Zu dem was wirklich passiert ist, zum Konkreten, zum Wissen, zu der Geschichte? Carla Frese: Mattia willst du? Mattia Bonafini: Ja, gra- danke für die Frage. Ich wollte grazie sagen (lacht). Vielleicht es ist nicht nett, aber man könnte mit einer Frage antworten: Und ist das der Ziel von einem Kunstwerk? (Pause) Ich glaube jede:r von uns hier hat unterschiedliche Assoziationen gehabt mit dieser abstrakte Klänge. Und ich habe auch mit Absicht auch einige synthetische Klänge verwendet und in diese abstrakte Form eine Installation gedacht. Weil jeder kann in seine Art und Weise etwas ausdenken, es ist kein Buch, es ist keine Dokumentation. Habe ich geantwortet, ich weiß es nicht? Publikum 5: Ja eben genau darauf wollte ich hinaus. Weil es ist eben kein Buch zum Nachlesen. Es ist eine Kunst, deswegen bin ich auch in der Frage an die Kuratorin sehr gespannt, wie ihr euch das gedacht habt. Und wo ist denn die Grenze zwischen reinem Kunstwerk, weil den Künstlern ist ja die künstlerische Freiheit sehr wichtig und dass es eben nicht zu konkret ist. Dass es eben nicht belehrend ist auch. Und wo ist die Grenze zwischen Kunst und Entertainment, ganz böse gesagt. Und dann doch einem echten Erinnern und Gedenken, was dann doch sehr konkret ist. Gerade am Beispiel des Bunkers. Mattia Bonafini: Ich wollte noch kurz was dazu sagen und es war spannend wenn wir, wenn Annemarie und ich angefangen haben darüber zu reden und Ideen auszutauschen. Ein Punkt und zwar es kann natürlich heftig werden mit der Musik aber es muss auch nicht unbedingt immer so schwer sein. Und in irgendwelche Form nach meiner Meinung, die Windharfenklänge wirken auch so. So wie eine – es ist nicht leicht, es ist nicht einfach, aber trotzdem es gibt die Möglichkeit auch was Positives vielleicht zu sehen. Christel Trouvé: Ich glaube das was wir hier versuchen zu machen, sind Angebote zu machen. Das heißt jeder Mensch reagiert auf andere Angebote. Es gibt Leute für die tatsächlich so eine Kunstform nicht ansprechend ist. Es gibt Menschen für die so eine Ausstellung oder ein Katalog viel mehr ansprechend ist. Aber das was wir eben so machen unter anderem in der Kunst, ist ein Angebot zu schaffen. Und ich möchte auf das zurückkommen, was Sie vorhin gesagt haben. Weil ich finde das ist auch eine Frage die wir uns täglich stellen. Die Welt ist komplex, wir sind seit ein paar Jahren wieder so, also mit der Kriegssituation, also die ganz nah ist an unseren eigenen Grenzen. Und ich muss ehrlich sagen, es gibt Tage wo ich mich frage: Was bringt es, was ich hier mache? Das was man, genau, also ich hoffe, dass das irgendwie so klar wird, was ich versuche zu sagen. Die Arbeit die wir hier machen, das ist nicht, also zentrale Arbeit ist Erinnern an die Zwangsarbeiter:innen, klar. An die Geschichte die damals geschehen ist. Zentraler Aspekt ist diesen komplexen Ort zu decodieren. Zentraler Aspekt ist, die Menschen zu helfen Lektüren, oder Schlüssel zu bekommen um auch die Welt von heute zu verstehen oder zu decodieren oder zu wissen, wie handle ich? Und da ebenso komme ich nochmal darauf zurück. Das sind eben Angebote, die einige ansprechen, andere nicht. Du sagst eben so, wo ist die Grenze mit Entertainment? Wir bekommen sehr oft Vorschläge für Projekte, Kunstprojekte die wir dann auf gar keinen Fall hier umsetzen werden. Weil es ... (unvermittelt, Stimme aus dem Off) Und also das sind eben so ganz viele Themen, die mit diesem Ort zu tun haben. Also Fragestellungen von heute, wie die Welt von heute – und dann ist es unser Auftrag tatsächlich hier sorgfältig damit umzugehen. Um auf deine Frage nochmal zurückzukommen. Um zu Wissen, okay, welches Projekt hat einen Bezug zu diesem Ort und welches Projekt hat in unseren Augen – weil wir haben natürlich einen Auftrag an diesem Ort – dann das Denken einfach mal so voranzubringen. Carla Frese: Ich wollte fragen, bevor du kommst, Annemarie wollte glaube ich nochmal direkt auf das, was – unv. Annemarie Strümpfler: Weil es einfach auch um das Konzept geht und das war genau die Fragestellungen, die wir uns ganz am Anfang auch gestellt haben. Erstmal dieser Ort der sehr belagert, belastet und schwer ist eigentlich. Und durch diese historischen Bezüge kriegt es vielleicht auch den Touch, dass es eben doch sehr zurückgewandt ist. Aber das ist nicht gemeint. Also ich möchte auch natürlich - der Bezug ist da. Aber allein das Thema, dass wir eben Klang hervorbringen, beziehungsweise Mattia es aufnimmt und verarbeitet und bearbeitet hat und so wie er es bearbeitet hat, zeigt er eigentlich, dass es was ganz aktuelles ist. Und diese Aktualität im Klang zu spüren. Der zwar sich hier im ganzen Kontext zeigt, also einmal die Dimension, die vielleicht auch in dieses Sakrale Empfinden dann vielleicht sich reingeht, aber auch dieses Hämmern und das Repetitive. Also das ist für mich auch hoch aktuell. Und ich möchte da auch nochmal sagen, dass diese, die ganzen Klänge haben diese Aktualität. Es ist nichts künstlich irgendwo noch aus irgendeiner Vergangenheit herangezogen. Und wir versuchen, oder was wir versuchen, ist eben auch den Klang wirklich so zu nutzen und zu selbst zu spüren, was macht er mit mir. Ich glaube dass die Erkenntnis und dass die Erfahrung mit Klang ist noch gar nicht so alt. Also sie wird eigentlich jetzt so in den letzten Jahren vielleicht doch erst sehr, sehr aufgearbeitet. Und das ist so ein ganz wichtiges Element. Also dass auch das Medium, dass hier also auch ein technisches Medium verwendet wird in der Aktualität heute, dass das auch hier im Zentrum ist. In Verbindung mit der Harfe, die eben ja, noch ein ganz analoges Medium ist, im Außenfeld. Also diese Verbindung. Und hat eigentlich was sehr aktuelles. Okay. Carla Frese: Gut. Frank, Du wolltest. Frank Laukötter: Ich möchte auf Ihre Antwort, Quatsch, auf Ihre Frage antworten indem ich an zwei Parts aus dem Publikum erinnere und die vielleicht in meiner Art interpretiere, weiterspinne. Das ist einmal Ihr Beitrag von eben. Sie haben von Kathedrale gesprochen. Ich glaube, dass das eine Möglichkeit ist, das hier zu assoziieren, dass das etwas überwältigendes hat, was uns an Kathedralen gemahnt. Das ist ein Teil den tatsächlich nach dem Krieg auch Leute eingelöst haben, wie (Claude) Parent, ein Architekt, der Betonkirchen gebaut hat. Ich bin in einer Schule groß geworden, die auch aus Beton bestand. Also innerhalb einer brutalistischen Architektur. Worauf ich hinaus will ist, dieses Material und dieses megalomane können wir hier tatsächlich, wenn wir uns in diesen Zustand versetzen rein ästhetisch genießen. Wir können sagen, das ist l'art pour l'art. Aber nur wenn wir den Kontext vergessen. Nur dann. Aber das ist möglich. Wir können so eine Interpretationshaltung einnehmen. Das ist ein Extrem. Das andere Extrem auf das ich hinaus will, ist eigentlich eher Ihr Beitrag, weil sie verglichen haben, die Zwangsarbeit von damals mit der Situation jetzt in der Ukraine. Und das möchte ich verbinden mit einem Punkt den Sie genannt haben von wegen Entertainment. Wir Ästheten tun uns sehr, sehr schwer wenn irgendein Kunstwerk oder irgendeine Veranstaltung nachher sagt: "Aber die Moral von der Geschichte, ist die Folgende." Ich finde wir sollten uns gar nicht schwer tun damit, weil auf der einen Seite gibt es das l'art pour l'art, aber ich finde, dass es auch wichtig ist, und ich möchte das gerne hier benennen, dass das hier eine ethische Dimension hat. Die sowohl die Gerechtigkeit an der Geschichte der Schicksale der Menschen, die hier Zwangsarbeiter waren anschließt als auch an die Gerechtigkeit der Schicksale der Menschen, die jetzt in der Ukraine sind. Wir können an diesem Ort sehen, dass es das Schlimmste ist, anderen Menschen Leid anzutun. Und das gilt für die Zwangsarbeiter von damals hier als auch für die Leute die jetzt irgendwo in einem, in einer U-Bahn, in einem U-Bahn Tunnel sitzen und da ausharren und dann doch sagen: Wie gut, dass hier Stahlbeton über meinen Köpfen ist, weil dieser Stahlbeton schützt mich vor Bomben. Das ist auch eine Haltung die wir einnehmen können. Wir haben einmal dieses l'art pour l'art, aber nichtsdestotrotz dieses Ethische. Und wie kommen wir raus? Spätestens morgen, wenn wir wieder Brot kaufen müssen und uns glücklich schätzen können, dass wir das können. Carla Frese: Es gab noch eine Meldung aus dem Publikum. Claudia, genau. Publikum 6: Ich fand den Punkt total spannend mit: Wie abstrakt darf es sein, damit es keine Spielerei wird? Das finde ich eine total spannende Diskussion und ich glaube die Linie ist sehr, sehr dünn zum Teil. Aber ich finde tatsächlich, dass wenn man über eine Kunst ran oder verschiedene Künste ran geht, die vielleicht dann zum Teil mit konkretem Material arbeiten, aber eben auch abstrakt sind, dass gerade der abstrakte Part auch eine Möglichkeit hat, irgendwie mich selber so zu treffen weil es eben nicht Geräusche waren, die jetzt jemand aus meiner Familie erlebt hat. Ich glaube, dass gerade das Abstrakte eine Chance bildet, Assoziationsräume aufzumachen. Und die universeller sind und wo ich dann vielleicht auch dann genau über dieses Abstrakte das mich dann doch irgendwie so wahnsinnig trifft, auch wenn ich selber jetzt in meiner Familie keine Geschichte mit Zwangsarbeit hatte. Ich glaube das ist auch eine Chance da Zugänge zu weiten und mir eine Möglichkeit zu geben dann eben Themen nicht so schnell wegschieben zu können. Und nicht sagen kann, naja hat ja nix mit mir zu tun, was – ja - deswegen brauche ich damit nicht umgehen. Carla Frese: Haben wir noch weitere Wortmeldungen aus dem Publikum? Publikum 7: Ich bin mit einer anderen Erwartung hierher gekommen. Und zwar mit der Erwartung, wie kann man über Kunst in solch einem Ort eine Beziehung herstellen wie es zu dieser, diesem System, diesem verbrecherischen System kommen kann und welche Elemente daraus gibt es heute in der Gegenwart wieder. Und zwar jetzt nicht vordergründig wo wird jetzt wieder Gewalt angewandt. Sondern wie wird, was passiert mit uns selber, was machen wir im alltäglichen Leben, was machen wir politisch? Unreflektiert: Wir erinnern hier an die Geschichte, aber wir stellen keine Beziehung dazu her, wie die Menschen sich in diese Situation hinein entwickelt haben. Und da würde ich gerne Lösungen für haben und da würde ich gerne Ideen für haben. Wie kann Kunst solche sehr kritischen Dinge sichtbar machen? Also ich zum Beispiel habe selber viele antifaschistische Stadtrundfahrten in Bremen gemacht. Zehn Jahre lang, bin immer wieder von Schülern auch gefragt worden, ja wie hättest du dich denn verhalten in der Situation. Ich habe da keine schlüssige Antwort drauf. Ich weiß das nicht. Ich bin mir da selber meiner, meiner selbst nicht sicher, wie man sich in einer solchen Situation verhält. Und ich hätte gerne Ideen dafür, was, welche Mechanismen haben dazu geführt, dass es solch ein System gibt, wo man dann selber nicht mal weiß, ob man den Arm hebt oder mitläuft oder sogar selber ein Täter wird. Und wenn ich so eine Idee sehe, wenn der Leiter dieses, der technische Leiter dieses Bunkers in den 80er Jahren noch sagen kann, die Menschen, die hier gearbeitet haben, haben die gleichen, alle die gleichen Bedingungen gehabt, dann dreht sich mir der Magen um. Aber er konnte das sagen und es hat keinen Aufschrei gegeben. Also, ne. Es gibt schon wieder so Elemente, wo man gar nicht mehr merkt, was da an verbrecherischem drin steckt in dieser Aussage, die er gemacht hat. Ich weiß nicht, ob ich mich habe vermitteln können. Christel Trouvé: Wobei das nicht so ganz stimmt, dass es keinen Aufschrei gegeben hat, weil dieses Interview '81 war wirklich so der Beginn von einer unglaublichen Welle, die dazu geführt hat, dass das Mahnmal errichtet wurde vor dem Bunker. Dass der Film "Der Bunker" gedreht wurde. Aber ja klar, als dieses Interview erstmals ausgestrahlt wurde, er konnte sagen was er wollte, ohne dass er da Gegenrede bekommen hat. Aber ich glaube sehr wohl, dass es dann – nur um darauf zu reagieren, dass es danach so langsam eine Kette in Gang gekommen ist. Ich finde es, ich habe ein bisschen so ein Problem wenn es darum geht, Menschen heute zu fragen, wie hättest du dich damals verhalten? Also ich habe jahrelang in der Gedenkstätte Sachsenhausen gearbeitet, nördlich von (Berlin). Und ich weiß noch, ich hatte mal eine Gruppe von Jugendlichen, die waren 10 - 11 Jahre alt. Und einer baute sich vor mir auf, ein kleiner Knirps, und sagte: Damals wäre ich in den Widerstand gegangen. Ich fand das total süß und ich fand das total schön, aber ich dachte mir, das ist extrem naiv. Weil wie können wir heute sagen, also ich habe auch selber keine Antwort, wie hätte ich mich damals, genau in der Situation wie sie sich zugespitzt hatte, reagiert? Ich finde die wichtige Frage ist tatsächlich, wie verhalte ich mich heute in Situationen, wo Menschenrechte verletzt werden, wo Menschen ausgegrenzt werden, wo es wieder ein die-gegen-wir gibt und so weiter. Da finde ich das irgendwie so viel wichtiger. Und da finde ich, also ich bin selber keine Künstlerin, ich bin Historikerin. Das heißt, ich kenne mich mit Wissenschaft viel besser aus, als mit der Kunst. Aber da finde ich, dass Projekte, Kunstprojekte eben so vielleicht die Möglichkeit haben, jede von uns einfach dazu zu bringen zu sagen, okay in so einer Situation heute, was gibt..., also überhaupt drauf hinzuweisen wo es solche Situation auftreten. Um dann jedem Mensch für sich selber die Möglichkeit zu geben, seine eigene Antwort zu finden. Du hast vorhin gefragt, wo ist die Brücke. Ich glaube die Brücke muss jeder für sich schaffen. Das ist da nicht an der Stelle unserer Arbeit. Unsere Arbeit ist darauf hinzuweisen, wo gibt es Anschlusspunkte und dann jeder muss für sich seine Brücke selber schaffen. Ein gutes Beispiel draußen, vielleicht haben Sie gesehen, es gibt zwei Kreidezeichnungen an der Südseite von dem Bunker. Die verblassen langsam leider mit der Zeit. Die sind entstanden von Jens Genehr. Ein ehemaliger Student von der Hochschule für Künste. Diese Zeichnungen sind entstanden im Rahmen von einer Kooperation, die wir mit der Hochschule für Künste damals schon gemacht haben, 2018. Und eine Zeichnung beruht auf einem Foto von KZ Häftlingen, die gerade einen Suppenkübel tragen auf der Baustelle. Und ein bisschen weiter weg auf der rechten Seite können Sie vielleicht mal gucken, wenn sie rausgehen, gibt es eine Zeichnung, man sieht so eine ähnliche Menschenkonstellation, die in die andere Richtung marschiert und das ist die Baustelle für Katar, als die Fußballweltmeisterschaft stattgefunden hat. Und ihm geht es nicht darum, eine 1 zu 1 Situation darzustellen, sondern ihm geht es darum einfach mal so einen Funken in die Welt zu setzen und zu sagen: Ey guckt mal. Zwei Situationen, die relativ ähnlich ausschauen. Also von der Bildsprache her. Was gibt es für dich Zuschauerin, Zuschauer vielleicht für einen Gedankengang. Und dadurch einfach mal so zu helfen zu sagen: Okay hier guckt mal, da gibt es was und meine Antwort ist DIE als Künstler, ich biete dieses und jenes an. Was machst du als Zuschauer draus? Spricht es dich an? Spricht es dich nicht an? Ist es ein Weg den du gehen kannst und so weiter. Und das finde ich für mich das Potenzial. Carla Frese: Das finde ich ist auch ein schönes Schusswort für heute. Du hattest ja eben vorhin auch schon genau damit angefangen, dass du gesagt hast, ihr schafft hier Angebote. Und zwar der verschiedensten Vermittlungsarten. Ob es die Wissensvermittlung ist oder ob es die Kunst ist. Und die Kunst eröffnet einfach Möglichkeitsräume bei uns Besucher:innen, bei uns Rezipient:innen, die vielleicht Wissensvermittlung in dem Sinne nicht kann, aber durch die Kunst sind wir natürlich auch immer wieder auf uns zurück geworfen. Weil mit der Kunst und dem was sie in uns auslöst, stehen wir alleine eigentlich da. Und da passt es eigentlich ganz schön, das gibt da keine Antwort wie man den Brückenschlag bekommt, weil das ist dann tatsächlich Ihre Aufgabe, wie Sie die Kunst mitnehmen, wie Sie diesen Ort mit der Kunst verarbeiten. Aber als Angebot, ich glaube das ist jetzt auch in diesem Gespräch deutlich geworden, ist Kunst an einem historischen Ort wie diesem ein sehr, sehr fruchtbares Angebot. Einfach etwas, damit diese weitere Vermittlungsebene und aber auch die Art und Weise wie natürlich zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler heute auf diesen Ort reagieren. Weil es geht, es sind ja auch keine historischen Sachen, die gezeigt werden, sondern es ist die Art und Weise, die Sichtweise von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die hier zu Wort kommen und uns dadurch natürlich auch nochmal eine ganz andere Ebene präsentieren als die Wissensvermittlung oder als die Historiker das für sich machen können. Gut. Ich weiß nicht wie durchgefroren Sie jetzt sind? Sie haben gut durchgehalten (lacht). Ich danke Ihnen ganz, ganz herzlich, dass Sie so zahlreich hier heute Nachmittag erschienen sind, dass sie so wunderbar mitdiskutiert haben. Ich danke meinen drei Mitdiskutant:innen hier auf dem Podium und wenn Sie möchten, ist der Denkort noch bis 17:00 Uhr auf. Eine halbe Stunde hat er auf jeden Fall noch auf. Gehen Sie nochmal rum, gucken sich auch nochmal die Windharfe an. Im Tunnel fängt jetzt gerade das an, wo wir vorhin aufgehört haben, da können Sie direkt anschließen. Und am 06. August 2023 - ist das richtig? Am 06. August gibt es noch einmal eine Finnisage zu dem Projekt und natürlich gibt es dann auch noch im weiteren Verlauf weitere spannende Kunstprojekte hier am Denkort. Sie dürfen gespannt sein. Vielen Dank!