Der Kampf um die Erinnerung
Elia Tomasi (1924-2014) war erst seit zwei Wochen im Militärdienst, als am 8. September 1943 die Kapitulation Italiens verkündet wurde. Als junger Soldat stand er – wie tausende seiner Kameraden – plötzlich vor der Frage, ob er die Waffen niederlegen oder an den Seiten der deutschen Wehrmacht kämpfen würde. Er sagte „nein“ und geriet daraufhin in Kriegsgefangenschaft. Fünfzig Jahre nach Kriegsende kämpfte Elia Tomasi um die Anerkennung des besonderen Schicksals der „Italienischen Militärinternierten“ (IMIs).
IMI
Ab September 1943 galten die italienischen Soldaten in den Augen der Wehrmacht als Verräter. In den Kriegsgefangenenlagern verloren sie jeglichen rechtlichen Schutz und die Unterstützung durch das internationale Rote Kreuz. Ebenso wurden sie von deutscher Seite bewusst einer schlechten Ernährung ausgesetzt. Mit Tausenden anderen "IMIs" wurde der 19 Jahre alte Elia Tomasi nach Deutschland in das Kriegsgefangenenlager Sandbostel (Stalag XB) transportiert, von dort aus weiter nach Farge auf die Bunkerbaustelle.
"Warum tröstet ihr mich nicht?"
Während seiner gesamten Kriegsgefangenschaft trug der junge Elia ein kleines Notizheft bei sich. Darin trug er die Namen einiger Leidensgenossen ein. Auch schrieb er kleine Texte, in denen er - wie hier - seine Hoffnung auf eine baldige Befreiung zum Ausdruck brachte:
"Seit ich hier gefangen bin, denke ich nur an den Tag, an dem ich frei sein werde und zurückkehren kann. Und während meine alte Mutter dort in ihrem kleinen Haus nur wartet, schaue ich den Mond an, der unter einem Schleier am Himmel flüstert, oder die leuchtenden Sterne, die stumm bleiben, warum tröstet ihr mich nicht?"
"Für eine gute und lange Erinnerung"
Die „IMIs“ waren im Lager „Heidkamp“ untergebracht. Ihre Baracken grenzten an die der zivilen Zwangsarbeiterinnen. Vermutlich entstand dort der Kontakt zwischen Elia und zwei jungen Frauen aus der Sowjetunion, Sina und Valey. Nach der Befreiung verabschiedeten sie sich von “Iljuscha“ mit diesen kleinen Fotos, auf deren Rückseite sie ein paar Zeilen geschrieben hatten, in Erinnerung an die Tage, in denen sie „zusammen gearbeitet haben“.
Beruflicher Werdegang und Familie
Elia Tomasi kehrte am 22. Juli 1945 ins italienische Trento zurück. Er besuchte die Berufsschule für Bauwesen und wurde Maurer. Auf den Baustellen arbeitete er sich bis zum Vorarbeiter hoch. 1956 heiratete er Carlina Magro (geb. 1933), mit der er einen 1959 Sohn bekam, Maurizio.
Zurück nach Bremen
Im April 1990 kehrte Elia Tomasi zum ersten Mal nach Bremen zurück. Er hatte immer den Wunsch, die Orte seiner Kriegsgefangenschaft wieder zu sehen. Im Jahr 2000 fand eine erneute Reise statt. Anlass war die Aufführung der „Cantate pour la vie“ (Cantate für das Leben) im Ruinenteil des Bunkers. Dabei lernte Elia Tomasi Rainer Habel (1943-2002) kennen, den Sohn eines U-Boot-Fahrers, der sich kritisch mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzte und sich früh für die Erinnerung an die Leidensgeschichte hinter dem Beton-Gebäude engagierte.
Eine Cantate fürs Leben
Am 7. Mai 2000, 55 Jahre nach Kriegsende und der Befreiung aus den Häftlingslagern, hatte im Bunker „Valentin“ die von dem französischen KZ-Überlebenden André Migdal verfasste „Cantate pour la vie“ Premiere. Die Initiative ging auf Gerd Meyer (1946-2021), den Gründer der Internationalen Friedensschule Bremen, zurück. Zu dem Anlass wurden mehrere Überlebende der Bunker-Baustelle nach Bremen eingeladen, darunter auch Elia Tomasi.
Offizielle Anerkennung des erlittenen Leids
Elia Tomasi war 86 Jahre alt, als ihm im Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten die Goldmedaille verliehen wurde. Für ihn und weitere 79 ehemalige „IMIs“ war es die erste offizielle Anerkennung des erlittenen Leids als italienischer Soldat in deutscher Kriegsgefangenschaft. Die Zeremonie fand am 27. Januar statt, dem internationalen Tag der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus.
Erinnerung an die Väter
Am Vorabend der offiziellen Eröffnung des Denkort Bunker Valentin fand in der Bremischen Bürgerschaft eine eindrückliche Veranstaltung statt. Der damalige Bürgerschaftspräsident Christian Weber hatte die letzten Überlebenden und die Nachfahren von ehemaligen Zwangsarbeitern der Bunkerbaustelle nach Bremen eingeladen. Es kamen Familien aus mehreren Ländern, darunter Italien. Für sie bedeutete die offizielle Anerkennung des von ihren Vätern erlittenen Unrechts sehr viel.