Elia Tomasi

Der Kampf um die Erinnerung

Elia Tomasi, auf diesem Foto schon älter, im Jahr 1994 bei einer Gedenk- oder Festveranstaltung, umgeben von weiteren Teilnehmenden. Er trägt ein Halstuch in den italienischen Farben und steht neben einer Fahne mit italienischer Trikolore. Er trägt die Fahne der Sektion Trient der ANEI (Nationaler Verband ehemaliger italienischer Militärinternierter)
Elia Tomasi in Alfiere, 1994
Quelle: Privatarchiv der Familie Tomasi

Elia Tomasi (1924-2014) war erst seit zwei Wochen im Militärdienst, als am 8. September 1943 die Kapitulation Italiens verkündet wurde. Als junger Soldat stand er – wie tausende seiner Kameraden – plötzlich vor der Frage, ob er die Waffen niederlegen oder an den Seiten der deutschen Wehrmacht kämpfen würde. Er sagte „nein“ und geriet daraufhin in Kriegsgefangenschaft. Fünfzig Jahre nach Kriegsende kämpfte Elia Tomasi um die Anerkennung des besonderen Schicksals der „Italienischen Militärinternierten“ (IMIs).

IMI

Das Bild ist eine historische, schwarz-weiße Collage. In der Mitte befindet sich ein oval gerahmtes Porträtfoto des jungen Elia Tomasi. Er hat kurze, dunkle, leicht gewellte Haare und blickt ruhig in die Kamera. Er trägt einen hochgeschlossenen Pullover und eine dunkle Jacke. Rund um dieses zentrale Porträt sind mehrere gezeichnete Szenen arrangiert, die offensichtlich das Leid und die Entbehrungen von Internierten oder Gefangenen zeigen. Oben links: Eine Gruppe von Menschen steht hinter Stacheldraht. Bewaffnete Soldaten in Uniform treiben sie voran oder bewachen sie. Die Menschen wirken erschöpft oder bedrängt. Oben rechts: Zwei Soldaten beaufsichtigen Männer, die schwere Holzstämme tragen müssen. Eine der Personen ist unter der Last zu Boden gefallen. Unten links: Eine Frau sitzt zusammengesunken im Schnee und hält sich schützend die Arme um den Körper. In der Nähe stehen zwei Kinder, die sich gegenseitig umarmen. An einer Wand hängt ein kleines Bild einer Familie. Unten rechts: Eine Person kniet im Schnee und klammert sich an einen Wegweiser mit der Aufschrift „Italia“. Im Hintergrund ist eine weite, winterliche Landschaft zu sehen.<br />
Über dem gesamten Bild steht das Wort „internati“ (italienisch für „Internierte“). <br />
Porträt von Elia Tomasi, Fotomontage
Quelle: Privatarchiv der Familie Tomasi

Ab September 1943 galten die italienischen Soldaten in den Augen der Wehrmacht als Verräter. In den Kriegsgefangenenlagern verloren sie jeglichen rechtlichen Schutz und die Unterstützung durch das internationale Rote Kreuz. Ebenso wurden sie von deutscher Seite bewusst einer schlechten Ernährung ausgesetzt. Mit Tausenden anderen "IMIs" wurde der 19 Jahre alte Elia Tomasi nach Deutschland in das Kriegsgefangenenlager Sandbostel (Stalag XB) transportiert, von dort aus weiter nach Farge auf die Bunkerbaustelle. 

"Warum tröstet ihr mich nicht?"

Das Bild zeigt ein altes, aufgeklapptes Notizheft, dessen Seiten vergilbt und leicht beschädigt sind. Das Papier ist kariert und weist dunklere Ränder sowie vereinzelte Flecken auf. Auf der linken Seite stehen mehrere handschriftliche Einträge in unterschiedlich großen, geschwungenen Tintenbuchstaben. Es handelt sich überwiegend um Namen und Ortsangaben, die in dunkler Tinte geschrieben wurden. Die Schrift wirkt teils sorgfältig, teils hastig, und einige Wörter sind mehrfach wiederholt.<br />
Die rechte Seite enthält einen längeren Text, der mit Bleistift geschrieben wurde. Die Schrift ist blass, teilweise verwischt und schwer zu entziffern. Einige Wörter sind durchgestrichen, andere wirken nachträglich ergänzt. Der Text verläuft relativ gleichmäßig über die Seite, ist aber nicht vollständig klar lesbar.
Notizheft aus der Kriegsgefangenschaft
Quelle: Privatarchiv der Familie Tomasi

Während seiner gesamten Kriegsgefangenschaft trug der junge Elia ein kleines Notizheft bei sich. Darin trug er die Namen einiger Leidensgenossen ein. Auch schrieb er kleine Texte, in denen er - wie hier - seine Hoffnung auf eine baldige Befreiung zum Ausdruck brachte:

"Seit ich hier gefangen bin, denke ich nur an den Tag, an dem ich frei sein werde und zurückkehren kann. Und während meine alte Mutter dort in ihrem kleinen Haus nur wartet, schaue ich den Mond an, der unter einem Schleier am Himmel flüstert, oder die leuchtenden Sterne, die stumm bleiben, warum tröstet ihr mich nicht?"

"Für eine gute und lange Erinnerung"

Das Bild ist in zwei Abschnitte unterteilt und zeigt jeweils ein kleines, altes Passfoto sowie die handschriftliche Rückseite des Fotos. Beide Bilder sind mit „BILD 1“ und „BILD 2“ beschriftet. Oberer Teil: Links (BILD 1) ist ein schwarz-weißes Porträtfoto einer jungen Frau zu sehen. Sie hat mittellanges, gewelltes Haar, das nach hinten frisiert ist. Ihr Gesichtsausdruck ist neutral. Sie trägt ein schlichtes, dunkles Oberteil mit Kragen und Knopfleiste. Der Hintergrund ist einfarbig und dunkel.<br />
Rechts (BILD 2) befindet sich ebenfalls ein schwarz-weißes Porträtfoto einer jungen Frau, die der ersten ähnlich sieht, jedoch nicht identisch ist. Auch sie hat nach hinten frisiertes, gewelltes Haar und einen ruhigen, ernsten Gesichtsausdruck. Sie trägt eine helle Bluse mit einer dunklen Jacke darüber. Der Hintergrund ist ebenfalls einfarbig.<br />
Unterer Teil: Unter jedem Porträt ist die Rückseite des jeweiligen Fotos abgebildet, die als „BILD 1“ bzw. „BILD 2“ gekennzeichnet ist. Beide Rückseiten sind vergilbt und weisen Gebrauchsspuren auf.<br />
Fotos von zwei sowjetischen Zwangsarbeiterinnen, o.D. Privatarchiv der Familie Tomasi

Die „IMIs“ waren im Lager „Heidkamp“ untergebracht. Ihre Baracken grenzten an die der zivilen Zwangsarbeiterinnen. Vermutlich entstand dort der Kontakt zwischen Elia und zwei jungen Frauen aus der Sowjetunion, Sina und Valey. Nach der Befreiung verabschiedeten sie sich von “Iljuscha“ mit diesen kleinen Fotos, auf deren Rückseite sie ein paar Zeilen geschrieben hatten, in Erinnerung an die Tage, in denen sie „zusammen gearbeitet haben“. 

Beruflicher Werdegang und Familie

Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt Elia Tomasi mit nacktem Oberkörper im Freien. Er steht leicht seitlich zur Kamera und hält mehrere zusammengerollte Schläuche oder Kabel in seinen großen, schmutzigen Händen. Der Mann trägt eine helle Schirmmütze, unter der seine kurzen, leicht zerzausten Haare hervorschauen. Sein Gesicht wirkt wettergegerbt und konzentriert. Im Hintergrund sind bewaldete Hügel oder Berge zu sehen, ebenso wie ein heller Zaun oder eine Absperrung. Die Szene wirkt sonnig und ländlich. Das Foto vermittelt einen Eindruck von körperlicher Arbeit im Freien.
Elia Tomasi auf einer Baustelle, um 1974
Quelle: Privatarchiv der Familie Tomasi

Elia Tomasi kehrte am 22. Juli 1945 ins italienische Trento zurück. Er besuchte die Berufsschule für Bauwesen und wurde Maurer. Auf den Baustellen arbeitete er sich bis zum Vorarbeiter hoch. 1956 heiratete er Carlina Magro (geb. 1933), mit der er einen 1959 Sohn bekam, Maurizio.

Zurück nach Bremen

Das Foto zeigt vier Erwachsene, die gemeinsam an zwei zusammengestellten Tischen in einem hellen Raum sitzen. Die Gruppe sitzt in einem freundlich gestalteten Raum mit bemalten Wänden. Auf der Wand hinter ihnen ist ein abstraktes Stillleben zu sehen, das unter anderem ein großes Glas und eine umgefallene Tasse zeigt. Auf dem Tisch steht ein kleines dekoratives Arrangement mit bunten Bildern und zwei umgedrehten Weingläsern. Von rechts nach links: <br />
Person 1 sitzt ganz rechts. Hier handelt es sich um die Ehefrau von Elia, Carlina Tomasi. Sie trägt ein dunkles Jäckchen über einem weißen Oberteil und hat kurze, dunkle Haare. Auch diese Person lächelt leicht in Richtung Kamera.<br />
Person 2 sitzt rechts neben Person 1. Es handelt sich hier um Elia Tomasi. Er trägt ein hellblaues Hemd, eine dunkle Weste und eine gemusterte Krawatte. Elia Tomasi schaut freundlich in die Kamera.<br />
Person 3 sitzt am Tisch gegenüber der vierten Person, hier handelt es sich um Rainer Habel. Er trägt eine dunkle Jacke und eine Brille. Er lächelt und hat die Hände locker auf dem Tisch gefaltet.<br />
Person 4  sitzt seitlich auf einem Holzstuhl mit blauem Sitzpolster. Hier handelt es sich um Elia Tomasis Sohn, Maurizio. Er trägt ein kurzärmliges Hemd mit roten und weißen Streifen sowie eine blaue Jeans. Die Beine sind übereinandergeschlagen, und die Person schaut nach rechts zu den anderen am Tisch.<br />
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Elia Tomasi (2.v.r.) mit seiner Frau Carlina (1.v.r.) (1933-2023) und seinem Sohn Maurizio (2.v.l.) in Begleitung von Rainer Habel (1.v.l.), Bremen 2000
Quelle: Privatarchiv der Familie Tomasi

Im April 1990 kehrte Elia Tomasi zum ersten Mal nach Bremen zurück. Er hatte immer den Wunsch, die Orte seiner Kriegsgefangenschaft wieder zu sehen. Im Jahr 2000 fand eine erneute Reise statt. Anlass war die Aufführung der „Cantate pour la vie“ (Cantate für das Leben) im Ruinenteil des Bunkers. Dabei lernte Elia Tomasi Rainer Habel (1943-2002) kennen, den Sohn eines U-Boot-Fahrers, der sich kritisch mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzte und sich früh für die Erinnerung an die Leidensgeschichte hinter dem Beton-Gebäude engagierte.

Eine Cantate fürs Leben

Links steht ein Mann mit weißem Haar, er heißt Klaas Touber, und einem weißen Schnurrbart. Klaas trägt eine weiße langärmlige Hemdbluse, die bis zu den Unterarmen hochgekrempelt ist, sowie eine helle Stoffhose. Er hält seine Hände vor dem Körper ineinandergelegt. In der Mitte befindet sich ein Mann mit kurzem, grauem Haar - das ist Elia Tomasi. Er trägt ein hellblaues Hemd und eine Krawatte mit einem Muster aus rechteckigen Formen in Blau-, Beige- und Gelbtönen. Dazu trägt er eine dunkle Hose. Seine Arme hängen locker seitlich herab. Rechts steht ein Mann mit kurzem, grauem Haar, das ist André Migdal, ohne sichtbare Gesichtsbehaarung. Er trägt ein weißes Hemd und darüber ein dunkles Sakko. Seine Hände hält er locker vor dem Körper; in der rechten Hand hält er einen Kugelschreiber. Der Hintergrund zeigt eine Reihe großer Fenster, durch die man grüne Blätter von Bäumen sehen kann, was auf eine Außenvegetation oder einen Garten hindeutet. Der Raum wirkt wie ein Konferenz- oder Unterrichtsraum, mit hellen Tischen und Stühlen im Hintergrund.
v.l.n.r.: Klaas Touber (1922-2011), Elia Tomasi (1924-2014), André Migdal (1924-2007), Bremen 2000
Quelle: LZpB / Denkort Bunker Valentin

Am 7. Mai 2000, 55 Jahre nach Kriegsende und der Befreiung aus den Häftlingslagern, hatte im Bunker „Valentin“ die von dem französischen KZ-Überlebenden André Migdal verfasste „Cantate pour la vie“ Premiere. Die Initiative ging auf Gerd Meyer (1946-2021), den Gründer der Internationalen Friedensschule Bremen, zurück. Zu dem Anlass wurden mehrere Überlebende der Bunker-Baustelle nach Bremen eingeladen, darunter auch Elia Tomasi.

Offizielle Anerkennung des erlittenen Leids

Das Foto zeigt den älteren Elia Tomasi, der in einem historischen Saal sitzt. Er hat dünnes, helles Haar, eine freundliche Mimik und trägt einen dunklen Nadelstreifenanzug mit weißem Hemd und silbergrauer Krawatte. Er lächelt direkt in die Kamera.<br />
Elia Tomasi hält eine geöffnete Schatulle in beiden Händen. In der Schatulle liegt eine Medaille mit einem blau-weiß gestreiften Band. Die Innenseite des Deckels enthält einen gedruckten Text, der jedoch im Bild nicht vollständig lesbar ist. Die Medaille ist in einer blauen Samteinlage präsentiert. Der Hintergrund zeigt mehrere sitzende ältere Männer, die zumeist von hinten oder von der Seite zu sehen sind. Sie befinden sich in einem prunkvoll dekorierten Raum mit goldfarbenen Details, roten Vorhängen und kunstvollen Wandverzierungen. Die Atmosphäre wirkt feierlich, als würde es sich um eine Preisverleihung oder Ehrung handeln.
Verleihung der Goldmedaille im Quirinalspalast, Rom 2010 Quelle: Privatarchiv der Familie Tomasi

Elia Tomasi war 86 Jahre alt, als ihm im Amtssitz des italienischen Staatspräsidenten die Goldmedaille verliehen wurde. Für ihn und weitere 79 ehemalige „IMIs“ war es die erste offizielle Anerkennung des erlittenen Leids als italienischer Soldat in deutscher Kriegsgefangenschaft. Die Zeremonie fand am 27. Januar statt, dem internationalen Tag der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus.

Erinnerung an die Väter

Das Foto zeigt sechs erwachsene Männer, die eng nebeneinander stehen und in die Kamera lächeln. Alle tragen sichtbar Namensschilder an blauen Bändern um den Hals.<br />
Ganz links steht ein Mann mit grauem Haar und Brille. Er trägt ein blaues Sakko, ein hellgelbes Hemd und eine gelbe Krawatte. Daneben steht ein Mann mit kurzen, gelockten dunklen Haaren. Er trägt einen mehrfarbig melierten Pullover in Rot- und Gelbtönen sowie eine weinrote Hose. Der dritte von links ist ein Mann mit kurzen dunklen Haaren und Drei-Tage-Bart. Er trägt ein dunkles Jackett, einen grauen Pullover und eine braune Hose. Er hat seine Arme locker um die beiden Männer neben ihm gelegt. Der vierte Mann hat kurzes graues Haar und trägt einen grauen Anzug mit weißem Hemd und grauer Krawatte. Er lächelt in die Kamera. Der fünfte Mann hat sehr kurz geschnittenes helles Haar und trägt einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und dunkelblauer Krawatte. Er steht sehr aufrecht und wirkt formell gekleidet. Ganz rechts steht ein Mann mit kurzem dunklem Haar. Er trägt einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine gestreifte Krawatte.
(v.l.n.r.) Maurizio Tomasi mit Yuri, Nicola und Orlando Materassi, Christian Weber (damaliger Bürgerschaftspräsident) und Francesco Restante in der Bürgerschaft Bremen am Vorabend der Eröffnung vom Denkort Bunker Valentin, November 2015
Quelle: LZpB / Denkort Bunker Valentin, Foto: Bürgerschaft Bremen

Am Vorabend der offiziellen Eröffnung des Denkort Bunker Valentin fand in der Bremischen Bürgerschaft eine eindrückliche Veranstaltung statt. Der damalige Bürgerschaftspräsident Christian Weber hatte die letzten Überlebenden und die Nachfahren von ehemaligen Zwangsarbeitern der Bunkerbaustelle nach Bremen eingeladen. Es kamen Familien aus mehreren Ländern, darunter Italien. Für sie bedeutete die offizielle Anerkennung des von ihren Vätern erlittenen Unrechts sehr viel.

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