Ganz normale Kunden?
Am Bau des Bunkers „Valentin“ waren Firmen beteiligt, die auch heute noch existieren: Thyssen, Krupp, M.A.N, Wayss & Freytag, Hochtief, Bilfinger. Aber neben diesen großen, reichsweit aktiven Unternehmen, gab es auch zahlreiche kleine lokale Betriebe, die regelmäßig mit der Großbaustelle in Farge zu tun hatten. So finden sich in der Kundenkartei der Eisenwarenhandlung Johann Chantelau in der Rekumer Straße 258 zwischen den Landwirten Johann Lübsen und Heinrich Morisse auch die Baufirma Hermann Möller, die Marinebauleitung oder das Marinegemeinschaftslager als Kunden.
102 Rollen Stacheldraht
Die Geschäfte mit den Firmen auf der Baustelle gingen gut: Im Dezember 1943 lieferte die Firma Chantelau Waren im Wert von 745,02 Reichsmark an das Bauunternehmen Kögel. Im Januar 1945 kaufte die Luftschutzabteilung der Oberbauleitung „Valentin“ 1300 starke Ankerschrauben zum Einmauern und 40 Äxte mit Schaft für 253 Reichsmark und noch am 1. Mai 1945, vier Tage vor der Besetzung Farges durch britische Truppen, fünf Heizkochöfen für 235 Reichsmark. Die Rechnung, die am deutlichsten den Zusammenhang zwischen einer Baustelle, auf der tausende Menschen zur Arbeit gezwungen wurden und einer „ganz normalen Firma“ herstellt, stammt aber vom 28. Januar 1944: Chantelau liefert insgesamt 102 Rollen Stacheldraht im Wert von fast 1000 Reichsmark an die Oberbauleitung der Kriegsmarine.
Profite
Wie viele andere war Inhaber Johann Hinrich Chantelau kurz nach der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler in die NSDAP eingetreten. Er wurde auch Mitglied der Sturmabteilung (SA), wo er 1938 zum „Rottenführer“ aufstieg. Chantelau sagte, er musste der Partei beitreten. Als Geschäftsmann sei ihm nichts Anderes übriggeblieben. Ob aus Überzeugung oder aus Profitgründen, Chantelaus Geschäfte liefen gut: Er gab für das Jahr 1938 ein steuerpflichtiges Einkommen von 1211 Reichsmark an. 1943, in dem Jahr, in dem die Bauarbeiten am Bunker „Valentin“ begannen, waren es dagegen bereits 9692 Reichsmark. 1944 waren es noch immer 7592 Reichsmark. Laut dem historischen Währungsrechner der Österreichischen Nationalbank entspricht das heute etwa 63 300 Euro bzw. 49 100 Euro.
Den Verdienst versechsfacht
Natürlich war die Eisenwarenhandlung nicht der einzige Betrieb in der Region, der von der Bunkerbaustelle profitierte. Die Bäcker der Umgebung belieferten die Lager und die Baustelle mit Brot, der örtliche Kohlenhändler transportierte Leichen im Auftrag der Lagerleitungen. Lebensmittelhändler Wilhelm Sünkenberg gelang es sogar, aufgrund seiner Beziehungen vom Militärdienst an der Front befreit zu werden. Zwar blieb Sünkenberg Marinesoldat. Aber in dieser Funktion betrieb er auf der Bunkerbaustelle mehrere Kioske. Zwischen 1942, also vor Beginn des Bunkerbaus und 1944 stiegen seine Bruttoeinnahmen um das sechsfache von 6545 Reichsmark auf 39 573 Reichsmark, was heute 256 000 Euro entsprechen würde. Sünkenberg erlebte das Kriegsende als reicher Mann.
Das sichtbarste Verbrechen während der nationalsozialistischen Herrschaft
Es gab kaum einen Betrieb, der nicht von einer Baustelle wie der des Bunkers „Valentin“ profitierte. Es gab auch so gut wie keinen Betrieb, der nicht selbst Zwangsarbeiterinnen, Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene einsetzte. Auch die Eisenwarenhandlung Chantelau beschäftigte einen sowjetischen Kriegsgefangenen. Zwangsarbeit war das sichtbarste Verbrechen der NS-Zeit, von dem nahezu jeder deutsche Betrieb direkt oder indirekt profitierte. In der Rückschau betonten die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auf deutscher Seite fast immer, dass es den ausländischen Arbeitskräften bei ihnen in den kleinen Firmen oder auf den Bauernhöfen immer gut gegangen sei, dass sie ausreichend zu essen hatten und mehr oder weniger zur Familie gehört hatten. Ob dies immer so war, lässt sich meist nicht mehr feststellen.