Am 10. Juni hatte die bremer shakespeare company mit der szenischen Lesung „Erziehen – Erzwingen – Erniedrigen“ aus der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“ ein besonderes Gastspiel am Denkort Bunker Valentin. Nachdem die Erstaufführung im Jahr 2020 pandemie-bedingt in das Theater am Leibnizplatz verlegt werden musste, konnte sie dieses Jahr endlich am ursprünglich angedachten Schauplatz nachgeholt werden.
Im Rahmen der Theaterprojektreihe „Aus den Akten auf die Bühne“ entwickeln Studierende des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen und Ensemblemitglieder der bremer shakespeare company szenische Lesungen aus historischen Originaldokumenten, um sie der Öffentlichkeit lebendig und anschaulich zu vermitteln. Damit nimmt „Aus den Akten auf die Bühne“ eine Vorreiterrolle bei der dramaturgischen Aufbereitung und der theatralen Vermittlung von Geschichte ein.
Initiatorin und Leiterin des Projekts ist die Historikerin Dr. Eva Schöck-Quinteros, die dafür 2019 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Ihre Studierenden beschäftigen sich intensiv mit einem historischen Thema, recherchieren und transkribieren Quellen, verfassen Beiträge. Anschließend werden die Ergebnisse von Peter Lüchinger (bremer shakespeare company) zu einer szenischen Lesung montiert und inszeniert.
„Erziehen – Erzwingen – Erniedrigen“, die 15. Ausgabe von „Aus den Akten auf die Bühne“, entstand in jahrelanger Kooperation mit dem Denkort Bunker Valentin und behandelt das sogenannte „Arbeitserziehungslager“ der Bremer Gestapo in Bremen-Farge. Bei der Aufführung am 10. Juni standen die Schauspieler:innen Peter Lüchinger, Simon Elias, Sofie Alice Miller und Michael Meyer auf der Bühne, um die historischen Quellen zum Sprechen zu bringen.
Entscheidend für die Etablierung des Lagers im Frühjahr 1941 waren die Interessen der Bremer Wirtschaft, die zur Steigerung der Arbeitsleistungen drängte. In dem von der Gestapo in Farge betriebenen Lager sollten sogenannte „Bummelanten“ und „Arbeitsverweigerer“ „umerzogen“ werden. Es herrschten brutale Arbeits- und Lebensbedingungen: Zwangsarbeit auf der Bunkerbaustelle, grausame Misshandlungen, Hunger. Die Existenz des Lagers war dabei kein Geheimnis. Die Drohung „Pass auf, oder du kommst nach Farge“ war in allen Bremer Betrieben weit verbreitet.
Nur wenige Täter:innen des Gestapo-Lagers wurden nach 1945 zur Rechenschaft gezogen; nur wenige Häftlinge erhielten eine Entschädigung. In der szenischen Lesung kommen Häftlinge, Profitierende und Täter:innen zu Wort und geben einen Einblick in ein wenig bekanntes Kapitel der Bremer Geschichte.
Zusätzlich zur Aufführung wurden zwei Begleitbände veröffentlicht. Herausgegeben wurden sie von Dr. Eva Schöck-Quinteros und Simon Rau, freiberuflicher Mitarbeiter am Denkort Bunker Valentin, unter Mitarbeit der Studierenden des Projekts. Während der erste Begleitband „Erziehen – Erzwingen – Erniedrigen“ das Farger „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo in den Jahren 1940 bis 1945 thematisiert, behandelt der zweite Begleitband „Verteidigen – Verdrängen – Vergessen“ die Frage, wie nach dem Krieg mit dem Lager umgegangen wurde.