Über 30 Studierende der Hochschule für Künste Bremen – gleichermaßen aus den Bereichen Musik, Kunst/Design und Digitale Medien – führten am Sonntag, dem 11. Juni, die Konzertperformance „Bunker Requiem – NO MORE WAR“ am Denkort Bunker Valentin auf. Bei der Konzertperformance, die im Rahmen des Begleitprogramms zu „Erinnern durch Klang“ stattfand, handelte es sich um eine der spektakulärsten und aufwendigsten Veranstaltungen in der Geschichte des Denkort Bunker Valentin. Initiiert wurde das Projekt von Prof. Raphael Sbrzesny, Professor für Kreation und Interpretation, und Prof. Dr. Felix Elsner, Professor für Musikpädagogik. Es sollte dazu einladen, über die Künste und Politik, Gedenken und Erinnerung sowie über die Verbindung und Potentiale unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen nachzudenken.
„Bunker Requiem – NO MORE WAR“ schließt an das Recherche-, Ausstellungs- und Kooperationsprojekt „Re:Bunker“ an, welches 2017 von Prof. Dr. Mona Schieren und Prof. Katrin von Maltzahn angestoßen und realisiert wurde. Standen 2017 die Architektur, eine Kulturgeschichte des Bunkers allgemein und die Bildende Kunst im Zentrum der Auseinandersetzung, so lag der Fokus 2023 auf Musik und Performance.
Das Projekt entstand prozesshaft in einem fachbereichsübergreifenden Lehrangebot der HfK Bremen. Neben den Unterrichtseinheiten an der HfK setzten sich die Studierenden in zwei Seminaren – begleitet von David Torgovnikov, freier pädagogischer Mitarbeiter am Denkort Bunker Valentin – intensiv und kritisch mit der gesellschaftlichen Rolle von Gedenkstätten auseinander: Welche Emotionen vermittelt der Besuch von Gedenkstätten; gibt es erwünschte, vorgegebene Reaktionen? Inwiefern können Gedenkstätten als Kulisse von Kunstprojekten genutzt werden? Und wie hängt das mit der Funktion von Gedenkstätten für die zeitgenössische Erinnerungskultur zusammen?
Für die Veranstaltung war die gesamte Fläche des Depotteils im Bunkerinneren in ein Meer aus Nebel getaucht, der teilweise in blauem, teilweise in orangenem Licht erstrahlte und nur vereinzelt von Lichtkegeln und Laserstrahlen durchschnitten wurde. Die Lichtquellen waren jedoch nicht stationär, sondern wurden von den Performer:innen bewegt und durch den Raum getragen, wodurch sich die Szenerie immerzu veränderte. In der Mitte des Depotteils war ein Lichtstrahler an einer Schaukel-ähnlichen Konstruktion angebracht, der immerzu einen Lichtkegel von einer Wand des Bunkers zur entgegenliegenden am anderen Ende der Halle schweben ließ.
Eine Bühne gab es nicht; die Elemente der Performance waren stattdessen über die Fläche des Depotteils verteilt, die Besucher:innen konnten zwischen den Stationen im Stile eines Wandelkonzerts selbstständig hin- und her schreiten und stets neue Performanceelement entdecken. Die Performance begann mit stimmungsvollen Soloauftritten diverser Instrumente: Flöte, Xylophon, verschiedene Blechblasinstrumente. Eine der eindrucksvollsten und mitreißendsten Passagen war eine Klimax aus futuristischen Synthesizer-Klängen, einer donnernden, metallischen Percussion und dem opernhaften Gesang einer Studierenden.
Doch Musik war nicht die einzige künstlerische Ausdrucksform der Studierenden. So schlichen einige Performer:innen während des gesamten Konzerts in schwarze Gewänder gehüllt und mit einer furchterregenden doppelköpfigen Maske in gebücktem Gang durch das Publikum. Zu einem Zeitpunkt führten eine dieser dunklen Gestalten, kontrastiert von nahezu lieblichen und verträumten Xylophon-Klängen und begleitet von eindrucksvollen Schattenspielen, eine Tanzdarbietung im Lichtschein von einem der Overhead-Projektoren vor.
Zum zweiten Teil des „Bunker Requiems“ wurden die Besucher:innen aus dem Bunker herausgeführt. Begleitet von der Musik der Blechbläser:innen nahmen die Studierenden ihr Publikum ähnlich einer Prozession mit auf den Rundweg entlang der Südseite des Bunkers, vom Informationszentrum bis zum Deich an der Weser. Die Szenerie erstrahlte in gleisendem Sonnenlicht, passend dazu hatte die Musik nun keinen bedrückenden, düsteren Charakter mehr, sondern ließ sich fast schon als beschwingt, heiter, versöhnlich beschreiben.
Auf dem Abschnitt des Rundwegs erwarteten die Besucher:innen erneut mehrere Performances. Teilweise hatten sich Musiker:innen im Unterholz und in den Büschen versteckt und spielten nahezu unsichtbar auf ihren Instrumenten. Ein Musiker erschuf einen Loop aus sphärischen synthetischen Klängen, verstärkten dissonanten Gitarrenakkorden und der gesungenen Botschaft: „We have a dream“. Diese Idylle wurde nur dadurch gestört, dass weiterhin die furchteinflößenden Wesen in schwarzen Gewändern durchs Publikum schlichen und daran erinnerten, dass die Geister der Vergangenheit eben niemals ganz abgehängt werden können.
Den Stimmungswechsel zwischen dem ersten Teil im Bunkerinneren und dem zweiten Teil auf dem Außengelände haben viele Besucher:innen als ausgesprochen emotional sowie als den definierenden Moment der Veranstaltung empfunden. Insbesondere deshalb, weil durch ihn „Aspekte wie Trauerarbeit, aber auch Heilung künstlerisch aufgearbeitet und umgesetzt [wurden]“, wie es Prof. Raphael Sbrzesny hervorhob.
Zum Schluss versammelten sich alle Performer:innen auf dem Deich, das Publikum auf dem Weg darunter. Die Musik verstummte, das Publikum verfiel in eine andächtige Stille; viele Momente lang waren nur die leisen Geräusche der Umgebung zu hören. Dann brachten die Studierenden in fünf Gesten in Gebärdensprache die Abschlussbotschaft der Performance zum Ausdruck:
„Wach bleiben – Zuhören – Trauern – Gedenken – Widerstand“
Nicht nur das Publikum aus mehr als 200 Besucher:innen zeigte sich begeistert von der Konzertperformance. Am 8. Mai wurde „Bunker Requiem – NO MORE WAR“ im Rahmen der Hochschultage der HfK Bremen mit dem Hochschulpreis für herausragende Leistungen ausgezeichnet: in der Kategorie „Integriertes Design“ belegte das Projekt den zweiten Platz. Die Jury begründete ihre Entscheidung wie folgt:
„In einer Zeit der zunehmenden Normalisierung autoritärer und nationalistischer Haltungen führt das Bunker Requiem einen sensiblen und bewegenden Umgang mit einem historischen Ort vor, der die Grausamkeit des deutschen Faschismus direkt erfahrbar macht. Das Bunker Requiem vermeidet es dabei, das schon Bekannte didaktisch zu wiederholen. Auch widersteht es der Versuchung, das gewaltige Gebäude zu ästhetisieren. Stattdessen bietet es einen neuen Umgang mit und Zugang zu dem bekannten Denkort.“
Auf der Website der Interpret*innenkammer wurde ein fotografischer und filmischer Hintergrundbericht zur „Bunker Requiem – NO MORE WAR“ veröffentlicht. Dieser besteht u.a. aus einem kurzen Zusammenschnitt der Performance, Interviews mit Performer:innen und einem „Behind the Scenes“-Video.